"Vier Netze, ein Plan: So gelingt die Wärmewende in Staßfurt"

Das Fernwärmenetz der Stadtwerke Staßfurt gleicht einem Potpourri unterschiedlicher Technologien und Energieträger: Heizkessel, Blockheizkraftwerke, Gas- und Dampfturbinenkraftwerk. Auch das insgesamt acht Kilometer lange Fernwärmenetz selbst besteht aus vier hydraulisch getrennten Teilen mit insgesamt 93 angeschlossenen Gebäuden.
Unterschiedliche Netze und Erzeuger bedeuten volatile Preis- und Förderperspektiven, auch beim Thema Wirtschaftlichkeit herrscht eine unterschiedliche Ausgangssituation. Hinzu kommt auch die gesetzliche Vorgabe: die vorherrschende Energieressource Erdgas muss weg – bis spätestens 2045 müssen die Stadtwerke nämlich ihre Wärmeversorgung vollständig aus erneuerbaren Quellen sicherstellen.
Anspruchsvolle Aufgabe
Ein integrierter Gesamttransformationsplan für die Dekarbonisierung muss also her. Wichtig dabei: die mögliche Zusammenlegung und Erweiterung der Netze. Eine Aufgabe, für die der Versorger aus Sachsen-Anhalt Unterstützung ins Boot geholt hat. Das Projekt wird das Bundeswirtschaftsministerium aus der Bundesförderung Effiziente Wärmenetze (BEW) unterstützen.
Seit ihrer Gründung 1992 versorgen die Stadtwerke die Stadt Staßfurt mit Fernwärme – aktuell über vier voneinander getrennte Netze mit insgesamt rund 93 angeschlossenen Gebäuden und 2800 Wohneinheiten. Die Erzeugung basiert überwiegend auf Erdgas: Blockheizkraftwerke, Kesselanlagen und Wärme aus einem Gas-und-Dampf-Kraftwerk bilden die Grundlage der bestehenden Versorgung. Der Jahresverbrauch liegt bei rund 25 Gigawattstunden.
Es stand früh fest: Die Komplexität der Transformation ließ sich nicht mit klassischen Planungsinstrumenten bewältigen. "Wir wussten: Wenn wir die Wärmewende schaffen wollen, brauchen wir einen integrierten und dynamisch anpassbaren Gesamtplan – nicht vier voneinander losgelöste Einzelnetze", sagte Eugen Keller, Geschäftsführer der Stadtwerke Staßfurt.
Ein integrierter Gesamttransformationsplan sollte solche Aspekte wie Dekarbonisierung, die mögliche Zusammenlegung der Netze sowie deren Erweiterung in einem konsistenten, wirtschaftlich realisierbaren Gesamtkonzept vereinen.
Tools von Kelvin Green
Für die Erarbeitung dieses Plans haben sich die Stadtwerke Staßfurt für einen vollständig digitalen Ansatz entschieden. Unterstützung bekam der Versorger von Kelvin Green. Das 2023 in Berlin gegründete Unternehmen ist auf strategische Planung, Transformation und Optimierung der Wärmenetze von Stadtwerken spezialisiert. In der Zusammenarbeit mit Staßfurt kamen drei Tools von Kelvin Green zum Einsatz:
Heat-Map: Für die räumliche Analyse, Bestandsaufnahme und Planung möglicher Trassenoptionen
Heat-Plan: Als Gesamtmodell zur Erstellung eines konsistenten und BEW-konformen Transformationsplans
Heat-Sim: Für die detaillierte Simulation und Wirtschaftlichkeitsbewertung verschiedener Erzeugungsszenarien
Im ersten Schritt wurde mit der Heat-Map das gesamte Versorgungsgebiet erfasst und visualisiert: Netzverläufe, angeschlossene Gebäude, zentrale Erzeugerstandorte sowie Gebiete mit hohem Wärmebedarf. In einem gemeinsamen Workshop konnten dann Trassenerweiterungsoptionen simuliert und sofort die zugehörigen Wärmeliniendichten ausgewertet werden. So wurden wirtschaftlich attraktive Erweiterungsgebiete identifiziert, Potenziale zur Nachverdichtung erkannt – und alle relevanten Gebäude automatisch zugeordnet. "Eine der wichtigsten Erkenntnisse dabei: Die wirtschaftlich sinnvollste Verbindungstrasse verlief teilweise durch ein Gebiet ohne Anschlussnehmer – das hätten wir ohne digitale Simulation niemals so klar gesehen", räumte Keller ein.
Vom Potenzial zur Simulation
Auf Grundlage der mit Heat-Map gewonnenen Daten entwickelte Kelvin Green mit den Stadtwerken insgesamt vier Erzeugungsszenarien – unter anderem mit Abwärme aus einer Müllverbrennung, oberflächennaher Geothermie, Solarthermie sowie industrieller Abwärme in Kombination mit Wärmepumpen. Ergänzt wurde das Spektrum durch Biogas aus einem nahegelegenen landwirtschaftlichen Betrieb.
"Technisch war vieles denkbar – aber erst die Kombination aus Wirtschaftlichkeitssimulation und langfristiger Förderanalyse brachte uns zur optimalen Lösung", sagte Martin Bornholdt, Geschäftsführer Kelvin Green.
Alle Szenarien wurden mit Heat-Sim über den Betrachtungszeitraum bis 2045 simuliert – inklusive detaillierter Vollkostenrechnungen, Energiepreisszenarien und unterschiedlicher Vorlauftemperaturen. So konnte das Programm nachweisen, dass niedrigere Vorlauftemperaturen – insbesondere in Wärmepumpenszenarien – erhebliche Einsparpotenziale bieten. Auch Sensitivitätsanalysen mit abweichenden Strompreisen führte Heat-Sim durch, um die Robustheit der Szenarien zu testen. "Wir konnten in Echtzeit sehen, wie sich jede Preisänderung direkt auf die Gesamtkalkulation auswirkt", so Bornholdt weiter.
Am Ende des Prozesses stand ein modularer, dynamischer Transformationsplan fest. Dieser erfüllte die nötigen Voraussetzungen: wirtschaftlich tragbar, förderfähig und ausreichend flexibel, um auf die zukünftigen Entwicklungen reagieren zu können.
Die Netzzusammenlegung und der Trassenausbau sollen stufenweise erfolgen, wobei nach jedem Ausbauschritt eine Re-Evaluation vorgesehen ist. Sollte die vollständige Umsetzung realisiert werden, gehen die Stadtwerke von einer Verdopplung der gelieferten Wärmemenge und der Anschlusszahlen aus.
"Das Ziel ist nicht ein starrer Masterplan, sondern ein robuster Fahrplan mit Flexibilität – genau das haben wir jetzt."
Eugen Keller, Stadtwerke Staßfurt
Auch die künftige Erzeugung wurde im Transformationsplan berücksichtigt. Diese schwenkt vollständig auf erneuerbare Energien und Abwärme um. Großwärmepumpen und ein neuer Tagesspeicher werden dabei eine Schlüsselrolle spielen. So konnten jetzt mit klaren Grenzpreisvorstellungen die Verhandlungen mit den Eigentümern der präferierten Energiequellen begonnen werden, da die Erzeugungskosten im Energiemix keine Blackbox mehr sind.
Im nächsten Schritt folgen nun die Gespräche mit den politischen Gremien und der Wohnungswirtschaft, denen die Ergebnisse der Analyse präsentiert werden sollen. Parallel bereiten die Stadtwerke die Fachplanung für erste Erzeugerstandorte und Trassenerweiterungen vor – abhängig von der Bewilligung eines Förderantrags beim Bafa. "Die langen Förderzeiten bremsen uns mehr, als uns lieb ist – inhaltlich sind wir längst bereit", sagte Keller. Seine Stadtwerke sieht er nun in einer Vorreiterrolle als innovativer Wärmeversorger.